Verhandlungstechniken: Typische Methoden, fiese Fallen und nützliche Apps
Author
Berlitz
Wohin geht der nächste Urlaub? Wer erledigt den Abwasch, wer kümmert sich um die Wäsche, wer sorgt für einen gefüllten Kühlschrank? Oft war Ihnen in diesen Alltagssituationen wahrscheinlich nicht einmal bewusst, dass Sie sich in einer Verhandlung befinden. Mit anderen Worten: Wir verhandeln ständig. Dennoch sind viele Menschen in Verhandlungen unsicher, sie wissen nicht, wie das geht. Gerade im Berufsleben ist es jedoch wichtig, dass Sie die wichtigsten Verhandlungstechniken erkennen und beherrschen. Im folgenden Artikel stellen wir sie vor, zeigen Ihnen typische Situationen sowie hilfreiche Apps – und wie Sie fiese Tricks schnell durchschauen.
Hart oder weich – welcher Verhandlungsstil ist erfolgreicher?
Manche Menschen verhandeln besser als andere. Das hat mit Naturell und Talent zu tun, lässt sich aber auch gezielt trainieren. Im ersten Schritt kann man grob zwischen „harten“ und „weichen“ Verhandlern unterscheiden. Ausnahmen bestätigen die Regel, aber meist verhandeln Männer härter als Frauen. Welcher Stil mehr Erfolg verspricht, hängt vom Ziel der Verhandlung ab: Geht es darum, das Maximum für sich selbst herauszuholen, bringt Unnachgiebigkeit meist bessere Ergebnisse – allerdings beeinträchtigt dies nicht selten die Beziehung und erschwert zukünftige Verhandlungen. Bereits hier wird klar: Welche Art der Verhandlungsführung wirklich „besser“ ist, hängt stark vom Kontext ab. Doch welche Techniken gibt es überhaupt?
Die wichtigsten Verhandlungstechniken
Das Harvard-Konzept
Eine der bekanntesten Verhandlungstechniken ist das 1981 vom US-amerikanischen Rechtswissenschaftler Roger Fisher entwickelte Harvard-Konzept. Es gehört zu den ergebnis- oder kompromissorientierten Verhandlungsmethoden. Folgende vier Prinzipien stehen dabei im Vordergrund:
1. Menschen und Verhandlungsgegenstand getrennt betrachten
Die erste Annahme lautet, dass vor allem das Ziel der Verhandlung wichtig ist, nicht die Personen, die miteinander verhandeln. So sollen Gefühle, persönliche Sympathie oder Antipathie eine möglichst geringe Rolle spielen. Das klingt einfach, aber in der konkreten Situation ist die Umsetzung dieses Prinzips schwer. Denn die meisten Menschen tragen – bewusst oder unbewusst – persönliche Befindlichkeiten, frühere Erfahrungen oder Gefühle in die Verhandlung hinein. Emotionale Intelligenz ist daher auch in Verhandlungen wichtig – und lässt sich gezielt nutzen.
Das scheint auf den ersten Blick widersprüchlich. Allerdings ist hier ein Mittelweg möglich: Emotionen lassen sich sicher nicht vollständig ausklammern, sollten aber auch nicht die Verhandlung dominieren – ein Wutausbruch z. B. wird in den allermeisten Fällen nicht das gewünschte Ergebnis bringen.
Beispiel Gehaltsverhandlung: Wenn Ihr Chef Ihrem Wunsch nach mehr Gehalt nicht sofort zustimmt, können Sie dies natürlich als persönliche Zurückweisung oder gar Kränkung auffassen und beleidigt das Gespräch beenden. Zeigen Sie stattdessen Empathie für die schwierige Budgetsituation Ihres Vorgesetzten – und vielleicht haben Sie ja sogar einen cleveren Vorschlag, an welcher Stelle das Unternehmen Ausgaben reduzieren kann. So erreichen Sie Ihr Verhandlungsziel möglicherweise doch noch.
2. Interessen verhandeln, nicht Positionen
Wichtig für erfolgreiches Verhandeln ist auch, zwischen Positionen und Interessen zu unterscheiden. Grundsätzlich gilt: Konkrete Forderungen, etwa 10 Prozent mehr Gehalt, sind Positionen – und deutlich schwerer zu verhandeln als die zu Grunde liegenden Interessen. Diese treten meist in den Hintergrund und werden häufig nicht direkt geäußert.
Hilfreich sind deshalb Fragen nach dem „Warum“. Denn: Hinter jeder geäußerten Position steht ein Interesse – das es zu identifizieren gilt.
Nehmen wir an, ein Mitarbeiter äußert den Wunsch nach einem höheren Gehalt, die Chefin kann dem aber angesichts der schwierigen Situation der Firma nicht zustimmen. Die Frage nach dem Grund – also dem Interesse – könnte zeigen, dass der Angestellte tatsächlich nicht mehr Gehalt braucht, sondern z. B. einen Pflegedienst für seine kranke Mutter beschäftigt. Wenn sich im Gespräch herausstellt, dass er sie eigentlich lieber selbst pflegen möchte, ist beiden Parteien mit einer zeitlichen Entlastung viel besser geholfen. Der Position „Ich möchte mehr Geld“ liegt also das Interesse „Ich möchte meine Mutter gut versorgen“ zu Grunde. Diese Information könnte Ansatzpunkt für eine andere Lösung sein, z. B. flexiblere Arbeitszeiten.
3. Optionen entwickeln, die beiden Seiten nützen
Beim Harvard-Konzept sollen die Verhandlungspartner nach Lösungen suchen, die im Idealfall beiden Seiten nützen. Wer in einer Verhandlung stur bei seiner Linie bleibt und darauf pocht, dass sein Vorschlag alternativlos ist, zeigt wenig Kompromissbereitschaft und lässt dem Gegenüber dadurch wenig Spielraum. Ein solches Verhalten bringt den Prozess höchstwahrscheinlich ins Stocken – oder provoziert schlimmstenfalls den Abbruch der Verhandlungsführung. Dann gehen beide Seiten leer aus.
Bleiben wir bei dem Beispiel der Gehaltsverhandlung: Wenn Sie hartnäckig 20 Prozent mehr Gehalt verlangen und den Vorschlag Ihres Verhandlungspartners – 10 Prozent plus 2 Urlaubstage – einfach abtun, wird der Karriereweg in Ihrem Unternehmen aller Wahrscheinlichkeit nach schwieriger.
4. Ergebnis muss objektiv bestimmbar sein
Damit am Ende beide Verhandlungspartner zufrieden sind, sollten sie im Vorhinein objektive, nachvollziehbare Kriterien definieren, nach denen sie das Verhandlungsergebnis beurteilen können. Gemäß dem klassischen Beispiel mit Kindern, die einen Kuchen teilen sollen: Um ein für beide faires Ergebnis zu garantieren, schneidet das eine den Kuchen, das andere wählt sein Kuchenstück aus. Einen ähnlichen Konsens sollten die Verhandlungsparteien auch im beruflichen Kontext finden.
Für das Harvard-Konzept als Verhandlungstechnik spricht, dass eine Win-win-Situation das Ziel der Verhandlung ist. Dies soll sicherstellen, dass nicht nur ein faires Ergebnis erzielt wird, sondern darüber hinaus eine tragfähige Beziehung für künftige Verhandlungen entsteht. Kritiker der Methode führen an, dass sie im Prinzip auf der Annahme beruhe, beide Verhandlungsseiten würden über dieselben Informationen verfügen. Dies sei jedoch in der Realität nur sehr selten der Fall. Derjenige mit dem größten Wissensschatz setzt sich daher meist durch.
Natürlich wäre es in einer Verhandlungssituation für Sie ideal, mehr über das verhandelte Thema zu wissen, als Ihr Gegenüber. Das stärkt Ihre Position und hilft bei Ihrer Argumentation. Noch wünschenswerter wäre es, mit Ihrem Verhandlungspartner eine Win-win Situation zu erreichen. Aber dies ist nicht immer gegeben. Die folgenden Techniken unterstützen Sie dabei, Ihren Gesprächspartner für Ihre Position zu gewinnen bzw. Ihren Gesprächspartner zu durchschauen, wenn er Sie manipulieren will.
Framing und Ankereffekt – Tricks, auf die Sie nicht hereinfallen sollten
Bei dieser Verhandlungstechnik geht es darum, die Gegenseite von einer bestimmten Sicht auf die Dinge zu überzeugen, sie also mit Sprache zu führen – mancher würde sagen: zu manipulieren. Wer die Technik des Framing einsetzt, hebt wie bei einem Bildausschnitt (engl. frame) bestimmte Aspekte eines Sachverhalts hervor – und lässt den (möglicherweise viel größeren) Rest aus. Beim Framing kommt es vor allem darauf an, Sprache gezielt einzusetzen, um mit Worten einen solchen „Rahmen“ zu erzeugen. Framing ist nicht leicht anzuwenden – und dementsprechend auch schwerer zu durchschauen. Achten Sie bei Ihrem Gegenüber einmal darauf, welche Worte wann eingesetzt werden. Stellen Sie sich dabei ganz bewusst die Frage, welche Wirkung er damit vermutlich erzielen möchte.
Ein bekannter Trick ist auch der sogenannte Ankereffekt. Er basiert darauf, dass das menschliche Gehirn nach Vergleichswerten sucht. Als solche können auch – rational ziemlich absurde – Zahlen dienen. Das lässt sich z. B. bei Preisen beobachten: Haben Kunden die Wahl zwischen einem Produkt zu 3,99 Euro und einem anderen zu 4,99 Euro, entscheidet sich die Mehrheit eindeutig für den günstigeren Artikel. Lauten die Alternativen hingegen 4 Euro und 4,99 Euro, wählt nur rund die Hälfte das günstigere Produkt. Entscheidend ist offenbar die Zahl vor dem Komma. Sie dient dem Gehirn als Anker, mit dessen Hilfe es die Preise vergleicht. Für Preis- und Gehaltsverhandlungen gilt dementsprechend, dass das erste Gebot entscheidend ist. Sie sollten hier einen möglichst hohen Betrag nennen, um ein gutes Ergebnis zu erzielen – allerdings sollten Sie dabei im Rahmen des in der Branche Üblichen bleiben. Sonst machen Sie schnell einen unprofessionellen Eindruck – und das schwächt Ihre Position natürlich erheblich. Gezielte Verhandlungsvorbereitung ist daher Pflicht!
Verhandeln lernen mit Apps?
Inzwischen gibt es selbstverständlich auch Apps, die die eigenen Verhandlungsfähigkeiten analysieren, stärken und auf den Ernstfall vorbereiten. Dies sind zwei der bekanntesten:
Negotiation 360
Diese App hat der US-Amerikaner Michael Wheeler entwickelt. Er war Professor an der Harvard Business School und weist vor allem darauf hin, dass es wichtig ist, aus seinen Verhandlungen die richtigen Schlüsse zu ziehen. Die App „Negotiation 360“ bietet zunächst einen Selbsttest. Sie fragt dabei u. a. Beziehungs- und Problemlösefähigkeiten ab. Sie unterscheidet zwischen fünf Verhandlungstypen und – je nach eigener Einschätzung – zeigt die App dem Nutzer die Fähigkeiten auf, die er verbessern sollte. Wer seine Verhandlungen regelmäßig mit der App bewertet, erhält Impulse und Übungen für künftige Situationen.
Negotiate!
Demgegenüber wählt die App „Negotiate!“ einen spielerischen Ansatz. Das Szenario: Die Berliner Mauer ist gefallen, und nun, im Jahr 1993, verhandelt eine französische Delegation mit der deutschen Seite über die DEFA Filmstudios in Potsdam-Babelsberg. Der Spieler wählt eine Verhandlungspartei und durchläuft so unterschiedliche Verhandlungsszenarien und wendet bestimmte Techniken an.
Ob mit Hilfe von Apps, gezielter Recherche im Internet, in Workshops oder professionellen Seminaren: Verhandlungen wollen vor allem geübt sein. Was sind Ihre Talente, wo haben Sie Defizite? Dieses Wissen über sich selbst ist einer der wichtigsten Faktoren für erfolgreiche Verhandlungen. Denn auch mit der ausgefeiltesten Verhandlungstechnik wird es nicht gelingen, die (in der Regel geheimen) Interessen, Wünsche, Ängste und Sorgen des Verhandlungspartners zu kennen. Wer allerdings sich selbst optimal einschätzen lernt und gezielt an den eigenen Schwächen arbeitet und seine Stärken bestmöglich einsetzt, der hat gute Chancen, bei der nächsten Verhandlung sein Ziel zu erreichen.